Iran – Zweiter Teil
Von Max
Isfahan. Teheran scheint uns keine gute Stadt zum Verweilen. Neben der Hässlichkeit und dem Smog macht uns vor allem die Kälte zu schaffen. Dass es im Februar hier deutlich kälter als im Scheißwetterland Germany und die Strassen von verdrecktem Schnee gesäumt sein würden, hätten wir nicht vermutet. Somit beschleunigen wir unseren Plan, das Land gen Süden zu durchkämmen und in Richtung persischer Golf verträglichere Klimazonen mitzunehmen. In einem Reisebüro in der Nähe des Teheraner Bahnhofs erstehen wir problemlos ein Ticket, um am nächsten Morgen den Zug Richtung Isfahan zu besteigen. Das überraschend geräumige Abteil weiß durch große Beinfreiheit, Air-Condition und in die Vordersitzlehnen eingelassene Flachbildschirme durchaus Eindruck zu hinterlassen, was vor allem daran liegt, dass wir für die 7-stündige Fahrt inklusive Essen lediglich 5 Euro hinlegen mussten. Der Iran subventioniert nämlich nicht nur sein Benzin auf Teufel komm raus, sondern auch den Zug‑ und Flugverkehr. Nicht mal in China kommt man so billig von A nach B.
In Isfahan angekommen erfreuen wir uns an der einladenden Ästhetik der Stadt: Breit ausgebauten Strassen mit Baumaleen, luxuriöse Fußgängerwege (!!) und ein Fluss mitten durch die Stadt mit sehr schicken alten Brücken darüber, dazu massig Parks. Nicht zu vergessen der zweitgrößte Platz der Welt, umstellt von alten persischen Prachtbauten. Hier lässt es sich (für iranische Verhältnisse) gut aushalten und so mieten wir uns erstmal für eine Woche in ein fein gelegenes Hotel ein.
Wir sind des Abends auf der Suche nach einem schmackhaften Restaurant und haben uns dabei ein wenig verlaufen. Ein junger und sympathisch wirkender Typ spricht uns in perfektem Englisch an und nach den üblichen »Wo kommt ihr her«-Fragen bietet er direkt an, ihn zu sich Nachhause zu begeleiten. Wir freuen uns und gehen mit. In seiner Bude liegt bereits sein Kumpel ziemlich stoned auf dem Bett und schaut US-Basketball per Satelliten-TV. Unser Gastgeber erzählt, dass er grade von einem Türkei-Aufenthalt zurückgekommen sei und dieses Scheißland hier bald zu verlassen gedenke. Trotz der hohen Geld‑ und Visa-Hürden ist er guter Dinge, dass sein Wille den Weg schon irgendwie besorgen werde. Dann fragt er uns, ob wir lieber Tee oder Grappa trinken möchten. Wir meinen erst, uns verhört zu haben, bekommen dann aber tatsächlich trinkbaren Grappa aus einer etikettlosen Plastikflasche eingeschenkt. Inzwischen sind noch mehr seiner Freunde eingetroffen, die auf dem Boden sitzend persisches Backgammon zocken, lakonische Bemerkungen zum Fernsehprogramm abgeben und kräftig mittrinken. Der Grappa ist home-made von armenischen Christen und knallt ganz schön. Während unser Pegel steigt, erzählt unser neuer Freund von einem Typen, der dreimal betrunken von der Polizei erwischt worden wäre. Jedes Mal hat er anstatt zu leugnen stolz zu seiner Untat gestanden. Ob des ausbleibenden Lernerfolges haben die Cops ihn dann nach dem dritten Mal schlichtweg ermordet. Den Wahrheitsgehalt der Geschichte rückt unser Gastgeber zwar selber eher in die Nähe einer »urban legend«, die Kernaussage, dass Alkoholkonsum schwer bestraft wird, ist allerdings stimmig. Unserer Paranoia tut das nicht gut. Die angebotenen Minz-Kaugummis, die als Kraut gegen die Kontrollen der (religiösen) Polizei gewachsen sein sollen, wirken wenig beruhigend. Wir schaffen es dann doch noch, uns zu entspannen und verbringen den Rest des Abends mit guten Diskussionen, etwa über die Unsinnigkeit des Islams, die Frage der wahren Liebe und der Qualität des afghanischen Haschs. Nachdem wir uns von dieser höchstpersönlich überzeugen konnten, beschließen wir bei unserem neuen Freund zu nächtigen, der, während auf seinem Computer »American Gangster« läuft, bereits im Sitzen eingeschlafen ist.
Das Straf-Ranking für Drogen läuft hier ziemlich genau entgegengesetzt zu westlichen Vorstellungen. Als schlimmste Droge gilt der Alkohol, dessen Konsum bereits beim ersten Mal wenigstens mit Auspeitschen bestraft wird. Weniger schlimm aber auch nicht gern gesehen ist Hasch (1g = 1$), dass noch pappig und mit der Konsistenz von Knete über die Afgahnische Grenze kommt. Es gilt den iranischen Behörden als schwer süchtig machend und der durch das Hasch ohnehin aggressive Konsument sei zu jeder Beschaffungskriminalität fähig. In Deutschland ist der Kiffer ja eher als Schlaftablette bekannt. Die billigsten, am leichtesten zu bekommenden und am wenigsten bestraften Drogen sind Opium und Crack. Auf der Strasse und in Bussen treffe ich regelmäßig Jugendliche, denen ihrer Verstrahltheit auf 50m anzusehen ist. Mit schwer geröteten Augen bewegen sie sich im Tempo von Pflanzen und sind mit jeder Kommunikation schwer überfordert. Viele meiner Gesprächspartner hier sind der Meinung, dass der Opiumkonsum vom System gern geduldet werde, da vom Süchtigen keinerlei Wille zur Änderung der Zustände zu befürchten sei. Ob dem wirklich so ist kann ich nicht beurteilen. Wenn man allerdings ständig – ob in Wohnungen oder Parks – zum Saufen, Kiffen oder Opium-Rauchen eingeladen wird, bekommt man eine Ahnung davon, wie normal und verbreitet der Rausch ist. Mir schien es ohnehin so, dass sich Jugendliche, da sämtliches öffentliches Leben quasi verboten ist, entweder in die innere Emigration des Lesens intellektueller Schriften retten und/oder die Langweile und den Terror mit den verfügbaren Substanzen abfedern.
Beim Bummeln durch die schwer bevölkerten Shopping-Strassen Isfahans werde ich mal wieder angesprochen. Als mein Gegenüber erfährt, dass ich aus Deutschland komme, fangen seine Augen an zu leuchten und er beginnt von seiner großen Liebe zu Nietzsche zu erzählen. Um den auch mal im Original lesen zu können, hat er angefangen, sich selbst Deutsch übers Internet beizubringen. Stolz gibt er seitenweise Nietzsche-Zitate zum Besten. Die folgenden fünf Stunden verbringen wir mit Diskussionen über Filme, Religion und die Liebe. Mein Gesprächspartner ist begierig alles über Nietzsche, Freud, Heidegger und Proust zu erfahren. Ich bin dabei immer wieder über sein immenses Wissen beeindruckt und beschämt über meine Lücken. Auch er beschwert sich heftig über die grenzenlose Dummheit der Religiösen in seinem Land und dass er am liebsten Atheist werden würde, dies aber leider unter Todesstrafe steht. Zwischendurch erzählt er, dass er vor ein paar Jahren aus Liebeskummer alkoholabhängig geworden sei. Da man dem Alkohol auf dem Schwarzmarkt nicht trauen könne, habe er ein Jahr lang Ethanol aus der Apotheke bezogen. Das sei wenigstens nicht gepanscht. Er sagt, seitdem macht sein Magen ab und zu Probleme. Ich sage, er solle sich freuen, nicht komplett blind geworden zu sein.
Shiraz. Auf unserem Weg Richtung Küste machen wir Halt in der Großstadt Shiraz, die ausser einem netten Wasserpfeifen-Café samt verstrahlter Kundschaft wenig zu bieten hat. Wir beschließen also, hier lediglich ein paar notwendige Erledigungen wie Postkartenverschicken und Verwandschaftsanrufe abzuhaken und dann weiterzureisen. Als ich in einem Telefonshop grade versuche, meine Oma per Ferngespräch zu beruhigen, dass ich im Iran nicht automatisch entführt oder enthauptet werde, bricht der Besitzer des Ladens mein Telefonat ab, da er Feierabend machen möchte. Ich frage ihn, wann er denn am nächsten Morgen öffnen werde und er entgegnet in schlechtem Englisch, dass sein Geschäft morgen geschlossen sei. Als Begründung schiebt er nach: »Tomorrow…Crazy religious people…Government…Holiday…Closed«.
Am nächsten Morgen werden wir um halb neun von ohrenbetäubendem Lärm geweckt. Das Geschrei von riesigen Menschenmassen füllt förmlich den gesamten Raum und es scheint von sehr nah zu kommen. Aus Megaphonen ertönt eine fanatische Stimme, die irgendwelche Parolen vorschreit, die dann von tausenden aufgepeitschten Kehlen nachgeschrieen wird. Nach dem ersten Schreck trauen wir uns aus unserem Hotelzimmer und schleichen uns zum Fenster des Flurs, das den Blick auf die Strasse vor unserem Hotel freigibt. Vor unseren Augen schiebt sich eine monströse Massendemonstration voran, die nicht mehr zu enden scheint. Wir fassen weiter Mut und begeben uns vor den Eingang des Hotels auf die Strasse. Alles was ich an Demos in Europa bislang gesehen habe, ist gegen das hier ein zahmer Witz. Unmengen an schwarz verschleierten Frauen, Fahnen, Transparenten und Wägen füllen die breite Strasse komplett aus. Anstatt von Lautsprecher-Wägen stehen überall fest installierte Megafon-Masten auf der Strasse, deren Parolen nicht von 50 oder 500 sondern mehreren tausend Menschen synchron nachgebrüllt werden. Das einzige was wir aus dem monotonen Wiederholungsbrei raushören können, ist »Nieder mit Israel! Nieder mit USA! Lang lebe der Islam!«. Es ist leicht zu erkennen, dass die mitgetragenen Transparente professionell massengefertigt wurden. Einige Plakate hetzten auch mit englischen Parolen gegen Israel und die USA. Den Kindern hat man Martyrer-Kitsch umgehängt, sie schreien begeistert mit. Neben einer Bush‑ und einer Condola-Rice Papp-Puppe stösst mich besonders eine menschgroße »Juden-Puppe« ab, die mit Hemd und Krawatte, Bart und Schäfchenlocken, Davidsternbinde und dickem Bauch keine Widerlichkeit auslässt. Das ist kein Youtube-Video, das ist echt. Das ist auch keine verschrobene Minderheit sondern die absolute Masse! Es wirkt unglaublich bedrohlich.
Die Masse vor uns wirft uns interessierte Blicke zu und winkt vereinzelt. Die Stimmung scheint ausgelassen wie auf einem Volksfest oder Faschingsumzug. Ich denke, so muss der Faschismus aussehen. An den Seiten stehen Einheiten der Spezial-Polizei, die in ihren schwarzen Uniformen, schwarz-verspiegelten Sonnenbrillen vor ihren schwarzen Autos wie Klischee-Folterer aus drittklassigen Action-Filmen wirken. Die Demo hört nicht auf. Am Nachmittag wird das iranische Fernsehen berichten, dass zu den Feierlichkeiten des 27. Jahretstages der islamistischen Revolution auch in Shiraz etwa drei Millionen Menschen auf der Strasse unterwegs waren. Eine Nazi-Demo in Deutschland ist meist überschaubar. Hier marschiert die ganze Stadt. Nach vier Stunden ist die Masse an unserem Hotel vorbeigezogen. Mein Gefühl von Bedrohung schlägt mehr und mehr in Verachtung und Hass um. Ich habe das dringende Bedürfnis, hier jemanden zur Vernunft zu schlagen. Absolute Ohnmacht. Nachdem der ganze Spuk vorbei ist, ziehe ich ziellos und wütend durch die Stadt. Innerhalb einer halben Stunde werde ich zweimal angesprochen. Zunächst von einem älteren Mann, der sich bei mir für die Demonstration entschuldigen möchte und erklärt, die Teilnehmerinnen würden alle für die Regierung arbeiten. Danach hält mich ein junger Typ Anfang zwanzig an und erzählt mir dasselbe. Er scheint ähnlich wütend wie ich und ergeht sich in Fantasien über einen Angriff der USA, der mit dem ganzen Scheiss hier Schluss machen solle. Ich bleibe mit einem Strudel sich widersprechender Gefühle zurück.
Durch den Iran zu reisen schickt die Erfahrung immer wieder auf das Abstellgleis Ambivalenzkonflikt, ohne Ausstiegsmöglichkeiten anzubieten. Immerhin hat man die Gewissheit im Gepäck, dass hier die Kultur krank ist und nicht man selber.
Einerseits habe ich solch eine Hilfsbereitschaft und Offenheit der Einheimischen Reisenden (Fremden?) gegenüber noch nie erlebt. So willkommen fühlt man sich selten. Ständig wird man in überraschend gutem Englisch angesprochen und zu Diskussion, Tee oder Abendbrot eingeladen. Antriebsfeder ist dabei Neugier und tatsächliches Interesse, nicht Überlegungen welchen instrumentellen Nutzen man aus dem Gespräch ziehen könnte (z.B. Etwas zu verkaufen oder kostenlos englisch zu lernen, wie es in China üblich ist). Wenn man auf der Straße steht und etwas verloren dreinschaut oder gar durch die Handhabe einer Straßenkarte als orientierungssuchend gebrandmarkt ist, kommt ruck zuck jemand angelaufen um Hilfe anzubieten. Mit der Zeit ist es gar nicht so einfach, zwischen der eigenen peinlichen Berührtheit ob soviel Hilfsbereitschaft und dem sich nach und nach einstellendem planmäßigen Ausnutzen dieser Freundlichkeit, ein für sich selbst moralisch integeres Maß zu finden.
Auf der anderen Seite ist der Iran die widerlichste Islamisten-Diktatur, die ich je live erleben musste. Wie es hier um Frauen, Homosexuelle oder das öffentliche freie Denken bestellt ist, sollte ja bekannt sein. Auch könnte man seitenweise Kuriositäten der iranischen Gesetzgebung aufzählen, was alles als unislamisch verboten ist (etwa das Zeigen von Musikinstrumenten im Fernsehen oder das Tragen hoher Stiefel). Wer je vergessen sollte, dass er hier den Iran besucht, wird durch die Omnipräsenz der Portraits alter Männer mit Bart oder junger Kriegsmärtyrer, die an jeder zweiten Wand aufgehängt oder aufgemalt sind, an die Realität gemahnt. Auch beinahe jedes Gespräch mit den Einheimischen kommt gleich zu Anfang auf das Leiden am System zu sprechen. Wirklich Jeder und vor allem Jede weiß von Schikanen und Gewalt seitens der (religiösen) Polizei zu berichten. Händchenhalten ohne verheiratet zu sein kostet Geld, manchmal wird man auch zusammengeschlagen. Wenn das Kopftuch zu weit nach hinten gerutscht ist, kostet das auch Geld. Manchmal bekommt man dafür aber auch ein Bein gebrochen. Willkürlicher Terror seitens der religiösen Polizei schürt Angst und Paranoia und hält damit die Schäfchen besser in Zaum als jede ausgefeilte Videoüberwachung.
Vor Antritt der Reise gab es aus dem Freundeskreis einzelne Vorwürfe, ich würde mit meinem Vorhaben indirekt den Iran unterstützen und betreibe Elendstourismus. Vor Ort habe ich häufig das Gefühl, ich besuche Menschen im Knast. Ob man damit das Gefängnis und dessen Leitung unterstützt? Freilich hängt das Bild ein wenig schief, da mit letzter Gewissheit nicht zu sagen ist, anhand welcher Kriterien man als Reisender den Wärter vom Insassen unterscheiden kann. Damit zurück zur ambivalenten Wahrnehmung zwischen offener Freundlichkeit der Menschen und des faschistischen Regimes. In den meisten Fällen stehen sich beide unversöhnlich feindlich gegenüber. Manchmal können sie aber auch durchaus Händchenhalten.
Fortsetzung folgt…
(Es passiert mir sehr selten, dass ich auf Reisen andere »Westler« kennen lerne, die nicht dem Klischee des üblichen Travellers entsprechen und mit denen man gern länger Zeit verbringen möchte. Umso erfreulicher, dass ich in Yazd den äusserst symphatischen Londoner Fotografen Isaac kennenlernen durfte, dessen Weblog ich hier schwer zum Weiterlesen empfehlen möchte. Mit ihm wurde ich unter anderem Zeuge eines obskuren Selbstgeißel-Rituals, das Isaac in Text und großartigen Bildern festgehalten hat).
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